Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis erkennen und behandeln

Stand: 02.11.2022 20:57 Uhr

Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis ist eine schwere Hirnentzündung, die durch Antikörper des Immunsystems ausgelöst wird. Bevor die Diagnose gestellt wird, landen nicht wenige Betroffene fälschlicherweise in der Psychiatrie.

Zu Beginn der Autoimmunerkrankung können Symptome wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Angstzustände auftreten. Unbehandelt kann die Krankheit tödlich verlaufen.

Ursache der Gehirnentzündung: Fehlgeleitete Antikörper

Diese Art der Gehirnentzündung tritt hauptsächlich bei jungen Frauen auf, aber auch Männer und Kinder können in seltenen Fällen betroffen sein. Der Körper bildet Antikörper gegen ein Protein, das bei der Signalübertragung im Gehirn eine wichtige Rolle spielt - den NMDA-Rezeptor.

Nicht immer lässt sich ein Grund finden für die Autoimmunreaktion. Beobachtet wurde, dass die Erkrankung im Zusammenhang mit einer Herpes-simplex-Enzephalitis auftreten kann, also einer Entzündung des Gehirns durch Herpes-Viren. Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis kann auch in Folge einer Tumorerkrankung, als sogenanntes paraneoplastisches Syndrom, entstehen. Bei 20 bis 25 Prozent der betroffenen Frauen unter 50 Jahren finden sich Tumore an den Eierstöcken, sogenannte Ovarialteratome. Bei Männern sind es häufig Hodentumore.

Teratome können das Immunsystem triggern

Teratome entwickeln sich schon vor der Geburt aus embryonalen Zellen. Man spricht auch von einem Keimzelltumor. Diese meist gutartige Geschwulst kann unter anderem Nervenzellen ausbilden. Vermutet wird, dass diese Zellen das Immunsystem triggern und zur Produktion von NMDA-Rezeptor-Antikörpern (NMDAR-Antikörper) anregen, die dann unter bestimmten Umständen auch das Gehirn angreifen können. Wie die Antikörper die Blut-Hirn-Schranke passieren können, bleibt in vielen Fällen unklar. Teratome können bei einer Ultraschalluntersuchung entdeckt werden. Eine Röntgenaufnahme oder Computertomographie ist sinnvoll, um die Strukturen besser erkennen zu können.

Symptome der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis: Kopfschmerzen und Halluzinationen

Nach einer kurzen Zeit mit eher unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Abgeschlagenheit treten psychiatrische Symptome in den Vordergrund: Dazu gehören Verhaltensauffälligkeiten, Verwirrtheit, Unruhe, Ängste, Paranoia oder auch Halluzinationen. Eine typische Fehldiagnose bei der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis ist eine schizophrene Psychose.

Erst im weiteren Verlauf werden die Patientinnen oder Patienten dann auch neurologisch auffällig. So können epileptische Anfälle auftreten, Sprach- und Bewegungsstörungen sowie Entgleisungen des vegetativen Nervensystems, etwa Herzrhythmusstörungen und Dysregulation von Blutdruck und Körpertemperatur. Die Krankheit entwickelt sich typischerweise rasch innerhalb weniger Wochen.

Diagnose: Wie erkennt man die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis

Die Schwierigkeit bei der Diagnostik liegt darin, dass die Krankheit zu Beginn neurologisch schwer zu fassen ist. Eine Kernspintomographie (MRT) des Gehirns zeigt in 50 Prozent der Fälle keine Auffälligkeiten an. Und auch eine Messung der Hirnströme (EEG) ist in einigen Fällen unauffällig. Das plötzliche Auftreten von psychiatrischen Symptomen in Zusammenhang mit neu auftretenden epileptischen Anfällen und vegetativen Entgleisungen ist jedoch ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich um eine Autoimmunenzephalitis handeln könnte. Der Nachweis der Erkrankung gelingt durch eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor). Dieses wird bei einer Lumbalpunktion aus dem Rückenmarkskanal gewonnen. In der Nervenwasserprobe finden sich Entzündungsmarker und die speziellen Anti-NMDA-Rezeptor-Antikörper. Diese können auch im Blut nachgewiesen werden, die Liquoranalyse hat allerdings eine höhere Sensitivität. Rechtzeitig erkannt, lässt sich die Krankheit durch eine Immuntherapie behandeln.

Autoimmun-Enzephalitis: Behandlung mit Immunsuppressiva

Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis wird mit Medikamenten behandelt, die das fehlgeleitete Immunsystem unterdrücken und die Antikörperproduktion und das Entzündungsgeschehen hemmen sollen. Zu diesen Immunsuppressiva gehören Glukokortikoide (Kortison). Außerdem können Immunglobuline eingesetzt werden. Findet sich ein Tumor, muss dieser operativ entfernt werden. Reichen die Immunsuppressiva nicht aus, kann mit einer Plasmapherese (Blutwäsche) das Blut gefiltert und Antikörper “herausgewaschen” werden. Weitere immunsupprimierende Wirkstoffe, die auch in der Krebstherapie eingesetzt werden, sind Rituximab, Cyclophosphasmid und der Proteaseinhibitor Bortezomib. Der Verlauf nach der Therapie ist bei rund 75 % der Patienten und Patientinnen gut. Sie genesen vollständig oder behalten nur leichte neurologische Einschränkungen zurück. Etwa ein Fünftel überlebt mit bleibenden neurologischen Schäden und in ca. 5 % verläuft die Krankheit tödlich. Rückfälle sind möglich und treten in 10-15 % innerhalb von 2 Jahren auf.

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